Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2022 fand autoritäre Einstellungen unter Geimpften.

Studie: „Autoritäre Geimpfte“ sind potenziell antidemokratisch

Leipzig – In der Coronakrise lassen sich zwei autoritäre Verarbeitungsformen beschreiben: Nicht nur unter der Minderheit an Ungeimpften, sondern auch unter den Geimpften finden sich autoritäre, anitdemokratische Entwicklungen. Das ist ein Ergebnis der im November veröffentlichten „Leipziger Autoritarismus Studie 2022“. Die Wissenschaftler untersuchten in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) und der Otto-Brenner-Stiftung (IG Metall) in verschiedenen Problemfeldern die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland. Die Langzeitstudie erforschte dabei unter anderem auch Polarisierung und autoritäre Dynamiken während der Coronakrise.

Wie die Wissenschaftler dazu herausfanden, gehört fast jeder fünfte geimpfte Teilnehmer zu den „autoritären Geimpften“ (450 der 2.192 Geimpften). Diese äußerten „hohe autoritäre Aggressionen“ gegen Ungeimpfte als vermeintliche Sündenböcken für den Verlauf der Coronakrise. Dagegen äußerten die „gemäßigten Geimpften“ derartige Aggressionen nicht.

Die autoritären Geimpften wiesen einen „sadomasochistischen Typus“ auf und zeigten mehr Unterwürfigkeit, generell mehr aggressive Vorurteile und eine starke Betonung auf gemeinsame Regeln und Verhaltensnormen (Konventionen). Sie zeigten weiterhin mit ihrem Wunsch nach harten Strafen für Ungeimpfte „auch ein autoritäres und damit ebenfalls antidemokratisches Potenzial“. Etwa jeder Dritte der „autoritären Geimpften“ schätzt sich der Studie zufolge als links der Mitte ein, jeder zweite verortet sich in der politischen Mitte.

Rechtsextreme Einstellungen bei autoritären Geimpften

Überraschenderweise sind in dieser Gruppe häufiger als bei den gemäßigten Geimpften sogar rechtsextreme Einstellungen vertreten: Die Forscher fanden demnach bei fast 40 Prozent der autoritären Geimpften einen Schuldabwehr-Antisemitismus (Ungeimpfte 30 Prozent; gemäßigte Geimpfte 27 Prozent). Dazu komme ein ausgeprägter Ethnozentrismus (keine Prozentangaben) – also die Vorstellung, die eigene Gruppe sei „gut und richtig“ und damit einer anderen, massiv abgewerteten Gruppe überlegen.

Ausländerfeindlichkeit (31 Prozent) und Muslimfeindlichkeit (41 Prozent) komme bei den autoritären Geimpften sogar häufiger vor als unter Ungeimpften (22 und 38 Prozent) – bei den gemäßigten Geimpften sind sie dagegen mit 13 und 21 Prozent deutlich geringer. Ausländerfeindlichkeit sei statistisch sogar ein befördernder Faktor für die Impfung. „Zugespitzt formuliert, richten sich die autoritären Aggressionen der autoritären Geimpften also gegen Menschen, die zwar nicht geimpft sind, ansonsten aber die eigenen rechtsextremen Einstellungen teilen.“

Bei der Gewaltbereitschaft heben sich die Ungeimpften deutlich ab: Rund jeder Dritte stimmte der Aussage zu, seine Interessen notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen oder dies bei anderen zu akzeptieren. Von den gemäßigten und autoritären Geimpften stimmte nur rund jeder Siebte den Aussagen zu. Die Studie rechnet Ungeimpfte mit ihrem hohen Anteil an Verschwörungsmentalität und Aberglauben dem „projektiven Typus“ zu: Durch Esoterik werde das Kontrollgefühl über eine als bedrohlich wahrgenommene Realität gestärkt.

Der Großteil der Ungeimpften begründet seine Entscheidung mit zu wenig erforschten Impfstoffen (55 Prozent). Darauf folgen die Angst vor Langzeit- und Spätfolgen (47 Prozent), Skepsis gegen staatlich organisierte Impfaktionen (46 Prozent) sowie Angst vor Nebenwirkungen (45 Prozent). Rund jeder Fünfte (26 Prozent) gab an, Covid-19 stelle keine große Gefahr dar, und 16 Prozent lehnen Impfungen generell ab.

Antidemokratisches Potenzial bei Geimpften und Ungeimpften

Wie die Forscher weiterhin herausfanden, zeigen Geimpfte im Vergleich zu Ungeimpften ein höheres Grundvertrauen und eine größere Leichtgläubigkeit. Wer Grundvertrauen hat und leichtgläubig ist, ist demnach mit einer relativen Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent häufiger geimpft. Ungeimpfte wiesen dagegen insgesamt etwa halb so viel Vertrauen in Bundestag (34 Prozent), Bundesregierung (28 Prozent) und Parteien (22 Prozent) auf wie gemäßigte und autoritäre Geimpfte. Sie vertrauen auch allgemein weniger in andere Menschen (51 Prozent; Gruppe aller Geimpfter zusammen rund 70 Prozent).

Ein „antidemokratisches Potenzial“ darf laut Leipziger Autoritarismus-Studie auch in der Gruppe der autoritären Geimpften nicht übersehen werden. Durch eine Spaltung der Gesellschaft in „gut und böse“, „schwarz und weiß“, werde die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht allein polarisiert, sondern gar verhindert. Mit einer Demokratie, die von einem offenen Diskurs gekennzeichnet ist, „hat das wenig zu tun“.


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