Wieler: „Ich habe ein christliches Menschenbild“
Foto: DFG bewegt, zugeschnitten, Zitat L. Wieler – SCIENCE ON-Talk, Antibiotika – Wie stoppen wir resistente Keime, CC BY 3.0
Berlin – Für den Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, schließen sich christlicher Glaube und Verstand nicht aus. Im Interview mit dem „Spiegel“ sagt der Katholik. „Ich gebe ja meinen Verstand nicht an der Kirchentür ab“. Der Glaube gebe ihm ein gewisses Fundament und Gottvertrauen. „Ich habe ein christliches Menschenbild und lege Wert darauf, die Schöpfung zu achten und zu wahren“, sagt der seit der Coronakrise derzeit vermutlich bekannteste deutsche Wissenschaftler. Wieler berät die Bundesregierung zur Coronakrise und schätzt vor der Presse regelmäßig die neusten Corona-Entwicklungen ein.
Der Glaube erleichtere ihm seine Arbeit als Wissenschaftler, um Krankheit und Tod möglichst zu verhindern. Zu Weihnachten würde der Berater der Bundesregierung bei passender Inzidenz in die Messe seiner Gemeinde gehen.
„Gesundheit von Millionen Menschen wichtiger als Schutz Einzelner vor einer Injektion“
Wieler habe gehofft, dass sich mehr Deutsche hätten impfen lassen. Bezüglich einer Impfpflicht als schwerer Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist laut Wieler „die Gesundheit von Millionen von Menschen ein höheres Gut als der Schutz Einzelner vor einer Injektion“. Die kommende „fünfte Welle“, laut Wieler eine „Omikron-Welle“, müsse so flach wie möglich verlaufen. Eine Impfpflicht werde dazu nicht schnell genug helfen. Die Hoffnung der Politiker und vieler Menschen, dass die Pandemie bald vorbei gehe, ist Wieler zufolge „ein Trugschluss“. Wieler ist sich sicher: „Die fünfte Welle wird kommen.“
Der RKI-Chef äußert sich betrübt über die Krankheitsopfer: „Es bedrückt mich zutiefst, dass in Deutschland jeden Tag mehrere Hundert Menschen an dieser Krankheit sterben. Das ist etwas, womit wir alle leben müssen.“
Helfen könne „impfen, impfen, impfen“, Maske tragen, Kontakte beschränken, Großveranstaltungen absagen, Hotspots schließen und die 2G-Regeln einhalten. Eine Auffrischungsimpfung – „Booster“- verbessert laut Wieler den Schutz vor einer symptomatischen Infektion auf etwa 75 Prozent, „das ist viel“. Er wisse jedoch nicht, wie lange dieser Effekt anhält. Er könne auch nicht abschätzen, wann die Pandemie vorbei sei und der Zeitpunkt komme, da nur noch bestimmte Risikogruppen geimpft werden sollten.
Immunität durch Impfung ist besser als durch Infektion
Die Pandemie sei besiegt, wenn jeder mit den Coronaviren in Kontakt gekommen und damit immunisiert sei, entweder durch Impfung oder Infektion. „Aber ich kann nur jedem klarmachen: Es ist besser, eine Immunität durch eine Impfung zu bekommen als durch eine Infektion“. Wieler, gelernter Fachtierart für Mikrobiologie und seit 2015 Präsident des RKI, warnt vor „Long Covid“. Dabei handelt es sich um Langzeitfolgen mit körperlicher und mentaler Abgeschlagenheit, die mutmaßlich die Coronainfektion verursachen könne.
Eine neue brittische Langzeitstudie lässt jedoch vermuten, dass die Symptomatik besonders häufig bei maschinell, also künstlich beatmeten Krankenhauspatienten auftritt. Nach dieser invasiven medizinischen Behandlung leiden viele der Patienten auch noch über ein Jahr nach überstandener Infektion häufig unter Symptomen, die Wieler als „Long Covid“ beschreibt. Dem „Ärzteblatt“ zufolge führt die invasive Beatmung als schwerwiegender medizinischer Eingriff auch nach vielen anderen Erkrankungen oft zu einer verlangsamten Erholung.
Rudern gibt Wieler Kraft
Privat gehe er gerne mit Freunden rudern, das gebe dem 60-Jährigen Kraft. „Weil es um andere Themen geht.“ Aufgrund einiger verbaler Bedrohungen durch Fremde und auch wegen Corona sei er nun aber „nicht mehr so viel unterwegs wie früher“. Sein christliches Menschenbild sei bisher nicht ins Wanken geraten: „Ach was, um Gottes Willen, nein.“
„Omikron“
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