Kritik: Identitätspolitik bedroht Freiheit und Demokratie
Die liberale und bürgerliche Gesellschaft steht durch verschiedene Entwicklungen unter Druck wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr, teilt die Denkfabrik R21 (Republik 21) in ihrem Manifest mit: „Die Grundlagen der freien Gesellschaft und unseres demokratischen Gemeinwesens werden durch populistische und extremistische Rechte ebenso wie durch woke Linke bedroht.“ Über die Gefahren einer radikalisierten linken Identitätspolitik diskutierten am Montag Wissenschaftler und Publizisten auf der Konferenz „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit?“ in Berlin.
Laut Prof. Andreas Rödder, dem Vorsitzenden der Denkfabrik R21, beschuldigt linke Identitätspolitik die bürgerliche Gesellschaft des „weißen Rassismus“ und einer „strukturellen Diskriminierung“, während von rechts ein antikonstitutioneller Populismus demokratische, rechtsstaatliche Institutionen aushebelt. „Längst hat ein Kulturkampf begonnen, der die demokratische Mitte in die Zange nimmt.“
Kritik: Identitätspolitik lässt überall neue Tabus aus den Boden sprießen
Die Ethnologie-Professorin Susanne Schröter leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Wie sie sagt, bedroht Identitätspolitik die gesellschaftliche Freiheit und die Demokratie. Eine kleine Gruppe von Aktivisten skandalisiere andere gesellschaftspolitische Meinungen und argumentiere dabei mit ihren „verletzten Gefühlen“. So sprießen laut Schröter immer mehr Tabus in der Gesellschaft auf, und aus Angst vor Diffamierungen nehme „das Duckmäusertum“ zu. Eine freie und gleiche Gesellschaft werde so gespalten, atomisiert und in Filterblasen aufgetrennt.
Von der Identitätspolitk beeinflusste Personen sähen in der Gesellschaft überall „weiße Machtverhältnisse“ und einen grundsätzlich „weißen Rassismus“. Demnach seien alle hellhäutigen Menschen grundsätzlich rassistisch und Rassismus und Diskriminierung „strukturell“ in der Gesellschaft eingewoben. Aus dieser Überzeugung kommen Schröter zufolge auch die häufigen Diffamierungen als „rechts“, „Faschist“ ,“Nazi“, „transphob“.
Auch die Völkerkundlerin selbst wurde bereits von linken Studenten- und Aktivistengruppen beschuldigt, vermeintlich „antimuslimischen Rassismus“ zu schüren. Schröter berichtete auf der Konferenz, die Diffamierungen hätten ihrer Reputation geschadet, so dass viele ihrer Forschungsprojekte nicht mehr bewilligt würden.
Kritik: Identitätspolitik erfindet immer neue Diskriminierungen
Sandra Köster erklärte in ihrem Vortrag, heute seien viele früher sehr reale soziale Diskriminierungen abgeschafft. Darum suchten Anhänger der Identitätspolitik nach neuen, immer feineren vermeintlichen Diskriminierungen. Statt von offenen, objektiven Diskriminierung spreche man heute von „Mikroaggressionen“, die bei den vermeintlichen Opfern subjektiv „verletzte Gefühle“ hervorrufen. Die „Opfer“ würden ihre „Täter“ damit „moralisch vor sich her treiben“ und Läuterung einfordern.
Die Vorsitzende des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit Köster sagte, selbst wer wissenschaftliche, empirische Belege gegen identitätspolitische Thesen aufbringe, „wird mit dem moralischen Schwert bekämpft und als Rassist oder Sexist diffamiert“. Die moralisierende Identitätspolitik werde vor allem in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften immer dominanter. [Bemerkung Zeitkommentare: Genau aus diesen akademischen Fachrichtungen kommen auch viele Journalisten.]
Köster zitierte eine Befragung, nach der sich inzwischen jeder zweite akademische Mitarbeiter in seiner Wissenschaftsfreiheit durch Political Correctness eingeschränkt sehe. Dazu trügen „Agenda-Wissenschaftler“ bei: Sie verfolgen laut Köster mit ihrer Forschung und Lehre eine gesellschaftspolitische Agenda und grenzen Andersdenkende durch die Mechanismen des wissenschaftlichen Systems aus. „Man wird im akademischen System kaltgestellt.“
Kritik: Identitätspolitik verharmlost Islamismus
Für Ahmad Mansour ist Rassismus ein universelles Phänomen, das sich in jeder Gesellschaft finde, auch unter Flüchtlingen in Deutschland. Der deutsch-israelische Psychologe und Extremismus-Experte erklärte, islamistischer Extremismus und „Ehrenmorde“ hätten seit der Flüchtlingskrise 2015 in Deutschland zugenommen. Linke Aktivisten verharmlosten Ehrenmorde aber als Femizide, also allgemeine Frauenmorde, die nicht von Religion und kultureller Sozialisation motiviert seien. Laut Mansour ignoriert linke Identitätspolitik bei Migranten patriarchalische Strukturen, Antisemitismus sowie die fehlende Meinungs- und Glaubensfreiheit im Islam. Dagegen zeige die Realität „immer wieder, dass wir Probleme haben“.
Gegen die häufigen Anschuldigungen gegenüber die Polizei, rassistisch zu sein, stellte Mansour seine eigenen beruflichen Erfahrungen als Polizei-Psychologe: „Ich sehe keinen strukturellen Rassismus bei der Polizei. Keine Regeln, keine Gesetze, die die Polizisten dazu bringt, gewisse Gruppen anders zu behandeln als andere.“
Kritik: Identitätspolitik unterwirft selbst mächtige konservative Medien
Die frühere „BILD“-Journalisten Judith Basad kündigte ihre Anstellung und arbeitet jetzt für das neue Medienunternehmen des früheren „BILD“-Chefs Julian Reichelt. Laut Basad ist vieles in den öffentlich-rechtlichen Medien „kein Journalismus mehr, sondern Aktivismus“.
Sie kritisierte auf der Konferenz Mathias Döpfner. Der Vorstandsvorsitzende vom Axel Springer-Verlag distanzierte sich im Juni wortreich von einem Gastbeitrag in der WELT. Darin kritisierten Wissenschaftler, dass sich „der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Darstellungen der ‚queeren‘ Transgenderideologie zu eigen macht und dabei naturwissenschaftliche Tatsachen leugnet“.
Dass Döpfer sich der wütenden Empörung von Transgender-Aktivisten beugte, zeigt laut Basad den mächtigen Einfluss der Identitätspolitik: „Wie kann es sein, dass selbst die mächtigsten konservativen Medien in Deutschland eine solche unfassbar berechtigte und vor allem notwendige Kritik als homophob, also menschenfeindlich stigmatisieren und sich somit der Propaganda eines Mobs unterwerfen?“
Kritik: Identitätspolitik erstickt den demokratischen Diskurs
Die Anklage der „Hassrede“ sei kein rechtsstaatliches Konzept, sagte der „Spiegel“-Mitarbeiter René Pfister auf der Konferenz. Identitätspolitische Aktivisten weiteten Begriffe wie „rechtsextrem“ auf immer mehr Bereiche weiter aus. Wo Rassismus eigentlich die generelle Abwertung anderer Ethnien bedeutet, definiert Identitätspolitik laut Pfister inzwischen schon jede Differenzierung zwischen Ethnien als rassistisch. Das führe dazu, dass Menschen schweigen: „Wenn man die Definition von Rassismus so ausweitet, schreckt man ganz viele Leute damit ab.“ Pfister zufolge werde der demokratische Diskurs dadurch eingeengt und polarisiert.
Dem stimmte Bernd Stegemann zu, Professor für Dramaturgie in Berlin. Häufig würden ad hominem Scheinargumente verwendet, die sachliche Argumente eines anderen durch Verächtlichmachung seiner Person zu entkräften versuchen: „Er ist ein Rassist!“ Für Stegemann ist diese Methode „toxisch“: Sie zerstöre die Grundlage für Kompromisse und Einigungen.
Kampf gegen reale gesellschaftliche Diskriminierungen sei ein durchaus liberales Anliegen, bemerkte die Brandenburger FDP-Politikern Linda Teuteberg im Abschlussvortrag. Das liberale Menschenbild schreibe den Menschen Freiheit und Verantwortung zu; der Mensch könne sich durch eigene Fähigkeit und Leistung weiterentwickeln. Dagegen unterteile die Identitätspolitik Menschen in feststehende Opfer und Tätergruppen, denen man nicht entrinnen könne. Für Teuteberg ist das „zutiefst illiberal“. Solche Kulturkämpfe würden die Gesellschaft spalten. Sie rief alle Bürgerlichen auf, sich politisch mehr einzubringen und zu „mehr Mut zur Ideologie“. Damit meinte sie die Gesamtheit der Gedanken und Wertvorstellungen einer gesellschaftlichen Gruppe.
Die Denkfabrik R21 ist ein Verein, der für die bürgerliche Mitte und gegen ihre Gefährdungen eintritt. Der Zusammenschluss ist überparteilich. Denk- und handlungsleitend ist die Zielsetzung, Politikansätze zu stärken, die auf den Grundgedanken von Freiheit, Eigenverantwortung, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft fußen. Träger der Denkfabrik ist ein eingetragener Verein. Die Finanzierung erfolgt nach eigenen Angaben aus Eigenmitteln und Spenden.
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