Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD.

„Sollte Zunge besser im Griff halten“ – Experten weisen Lauterbach zurecht

Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) bleibt nicht unumstritten mit seinem Drängen an die Ständige Impfkommission (Stiko), auch Personen unter 60 Jahren eine vierte Corona-Impfung zu empfehlen: Wissenschaftler und Ärzte widersprechen. Lauterbach erntet Kritik. Hintergrund: Mitte Juli äußerte sich der Minister in einem „Spiegel“-Interview zur Impfung und empfahl die vierte Impfung auch für Jüngere. Inzwischen relativierte der Minister seine Aussage. Aber immer der Reihe nach.

Die Studienlage für Lauterbachs Empfehlung sei dünn, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, am Montag dem Fernsehsender „WELT24“. Man sehe bei der vierten Impfung zwar bei älteren Menschen einen größeren Schutz vor schwerer Erkrankung, bei jüngeren bringe die vierte Impfung jedoch „keinen wirklichen Mehrwert“. Auch eine Infektion werde durch den vierten „kleinen Picks“ nur sehr unzureichend verhindert. Gassen: „Das sieht man ja sogar am Bundesgesundheitsminster selbst, der zwar vier mal geimpft ist und sich trotzdem infiziert hat.“

Den Gesetzesentwurf zur vierteljährlichen Neuimpfung bezeichnet Gassen als „aberwitzig“. Stattdessen sollten die mRNA-Impfstoffe sehr sparsam und zielgerichtet eingesetzt werden, denn „hier kann man das Immunsystem sicherlich auch überfordern“. Die Regelung sei „medizinisch überhaupt nicht haltbar“. Wie Gassen sagt, habe die Stiko keine vierte Impfung für unter 60-Jährige empfohlen. Man solle „auf die Wissenschaft hören und nicht auf das Bauchgefühl des Bundesgesundheitsministers“.

Stiko-Epidemiologe: Lauterbach unternimmt „schon wieder Alleingänge“

Auf die Spannung zwischen Lauterbach und der Stiko äußerte sich am Dienstag Prof. Rüdiger von Kries, Epidemiologe der Stiko, im Gespräch mit „WELT24“: Er sehe keinen Grund, dass Lauterbach „schon wieder Alleingänge unternimmt“ und sich zu impfrelevanten Fragen äußert. Von Kries kritisch: „Es wäre besser, wenn Herr Lauterbach seine Zunge etwas besser im Griff hätte.“ Zu Gesetzgebungsfragen wollte sich von Kries nicht weiter äußern, bejahte aber die Frage, ob die Bürger durch die vielen Unstimmigkeiten in der Coronapolitik nicht ihr Vertrauen verlören.

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sagte „WELT24“ ebenso am Dienstag, er und die meisten Ärzte in Deutschland folgen der Wissenschaft. Lauterbach dagegen gebe eine politische Empfehlung. „Dass kann man als Politiker machen, aber sie basiert nicht auf der wissenschaftlichen Datenlage, die zum Teil auch noch gar nicht vorliegt.“ Schmidt-Chanasit verteidigte die Impfempfehlung der Stiko für Personen über 70 Jahren und Vorerkrankte als „genau die richtige“. Andere müssten sich jetzt nicht erneut impfen lassen.

Den Vorschlag zur allvierteljährlichen Nachimpfung bezeichnet Schmitd-Chanasit als „politisch-normative Entscheidung, die nicht auf der wissenschaftlichen Datenbasis und wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert.“ Aus seiner Sicht mache der Vorschlag „keinen Sinn“. Personen unter 70 Jahren und ohne Vorerkrankung mit einer Grundimmunisierung durch drei Impfungen müssten sich um eine schwere Erkrankung derzeit „keine Sorgen“ machen.

Lauterbach relativiert

Lauterbach verteidigte sich indes am Dienstag Abend im ZDF „heute journal“. Er habe nie gesagt, dass auch jüngere Leute sich jetzt impfen lassen sollten: „Das ist einfach falsch, das wird immer wieder unterstellt. Das ist aber nicht richtig, das habe ich nie gesagt.“ Im betreffenden Spiegel-Interview Mitte Juli antwortete der Minister jedoch tatsächlich auf die Frage, „Was sagen Sie einem 40-jährigen, der dreimal geimpft ist? Sollte er sich jetzt impfen lassen?“:

„Ich selbst würde sie verrückt machen. Wenn jemand den Sommer genießen will und will kein Risiko eingehen will, beispielsweise zu erkranken, vielleicht noch länger zu erkranken oder an Long Covid zu erkranken, dann würde ich in Absprache mit dem Hausarzt auch Jüngeren die Impfung empfehlen.“

Titelfoto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), Empfang für Özlem Türeci und Uğur Şahin im Rathaus Köln-5444CC BY-SA 4.0


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