Eine Spielgruppe auf der Cooperative Boardgames Convention (CoBoCon) in Halberstadt.

CoBoCon: Das ganze Leben ist ein Brettspiel

Gemeinsam spielen gegen die verfluchte Insel. Gewinnen oder verlieren nur zusammen. Was ist das und wer spielt so etwas? Das verrät ein Besuch der Cooperative Boardgames Convention (CoBoCon) in Halberstadt. Von Christian Albrecht.

„Wir müssen unser Lager bauen, damit wir heute Nacht nicht sterben!“, mahnt der Zimmermann Sebastian seine drei Mitstreiter, den Soldaten Benni, die Forscherin Ina und die Köchin Nadine. Erst vor wenigen Minuten sind die vier auf dieser verfluchten einsamen Insel gestrandet. Sie haben außer sich und ihren persönlichen Fähigkeiten nichts. Als ihr Schiff in den windigen Fluten versank, erschien die nahe Insel als der einzige Ausweg. Jetzt aber sieht sie eher aus wie eine grüne Hölle. „Wir riskieren jetzt am Anfang mal ein bisschen was“, findet Benni. Sebastian wirft ein, die Gruppe müsse jetzt vorausplanen. Als Ina jagen geht, erlegt sie tatsächlich auch gleich ein Schaf und bringt ein Schaf-Fell zurück. Jubel in der Gruppe.

Sebastian, Benni, Ina und Nadine befinden sich mit ihrem „Erklärbär“ Henning allerdings nicht als hilflos Gestrandete auf einer mörderischen einsamen Insel voller Gefahren und wilder Tiere, sondern sicher an einem Spieltisch, bestückt mit bunten Holzmarkern, bedruckten Karten, Würfeln mit eigenartigen Symbolen und Figuren-Tableaus aus Pappe, darauf illustriert die gestrandeten Charaktere. Sie spielen das beliebte Abenteuer-Brettspiel Robinson Crusoe auf der zweiten Cooperative Boardgame Convention (CoBoCon) Ende April 2023 in Halberstadt.

Eine Gruppe spielt auf der CoBoCon in Halberrstadt Robinson Crusoe.
Sebastian, Benni und Nadine grübeln nach über ihr Überleben – im Spiel. Foto: ZK.

Gegen das Klischee des langweiligen Brettspielers

„Es ist so ein Happening“, freut sich der Veranstalter der CoBoCon, Matthias Stober, über die familiäre Veranstaltung mit rund 70 Teilnehmern. Viele Teilnehmer kennen sich noch vom ersten Treff im Vorjahr. Der 35-jährige Geschichts- und Ethik-Lehrer aus Halberstadt lacht gern, wirkt sympathisch. Er mag sein Hobby, das Brettspielen. Mindestens drei Mal wöchentlich trifft er sich mit Familie, Freunden und Bekannten zum Spielen. Brettspielen verbinde ganz unterschiedliche Menschen. „Ich finde, das ist ein total schönes, soziales Hobby. Man kommt zusammen und lernt sich kennen. Auch Leute, die sonst ganz verschiedener Meinung sind spielen zusammen und haben ein Erlebnis“, erklärt er.

Der Lehrer Matthias Stober (links) ist Organisator und Veranstalter der CoBoCon
Der Lehrer Matthias Stober (links) ist Organisator und Veranstalter der CoBoCon. Foto: ZK.

Aber sind Brettspiele nicht für introvertierte Nerds? Der kommunikative Lehrer antwortet: „Ich bin jetzt nicht so der Typ, den sich manche als Klischeeform eines Brettspielers vorstellen.“ Er treibe auch Sport, sei ein offener Mensch. Ihn erstaune, wenn Leute zu ihm sagen: „Du spielst Brettspiele? Du siehst ja gar nicht danach aus.“ Auch hier auf der Convention seien alle Arten von Typen dabei, die Ruhigen und die Extrovertierten. In allen Teilen der Gesellschaft findet man laut Stober Leute, die gerne spielen.

Besonders kooperative Spiele wie Robinson Crusoe mag Stober, also solche, in denen die Spieler gemeinsam gegen das Spiel antreten – alle verlieren oder gewinnen nur zusammen. „Für mich ist das gemeinsame Erleben, das gemeinsame Ziel zu verfolgen mit dieser Aufgabenaufteilung und Absprache toll. Man kann unterschiedliche Stärken einbringen in das Spiel“, erklärt Stober, der neben seinem Beruf auch einen eigenen Youtube-Kanal für sein Hobby betreibt, CoBo – Cooperative Boardgames.

Spielen formt den Charakter

Für den Spielforscher Jens Junge vom Institut für Ludologie in Berlin ist das Spielen ein Grundphänomen des Menschen. „Ohne Spielen würden wir diese Welt nicht begreifen und sie uns nicht erschließen können“, sagt er am Telefon. Schon in kindlichen Erkundungsspielen und Sprachspielen gehe das los. Neben den ganz klassischen Brettspielen wie Schach, Mühle und Schach erscheinen inzwischen 1.000 bis 1.500 neue Brett- und Kartenspiele jährlich – vor allem für Erwachsene. Dazu gehören laut Junge neben einfachen Familienspielen auch Expertenspiele wie Robinson Crusoe und Terraforming Mars. „Allein um die Spielregeln zu lernen, braucht man einen Erklärbären. Und bis man sich da reingedacht hat und sinnvoll etwas tut, sind schon drei Stunden rum. Dann muss man es auch noch stundenlang spielen. Es ist nicht wie Mau-Mau, schnell mal eine Runde gezockt.“

Aber wie kommt jemand zu so komplexen Spielen? Es gibt doch viele Leute, bei denen die Spielkompetenz nach Mensch ärger dich nicht aufhört? Junge: Das sind Vielspieler, die schon einiges ausprobiert haben und kennen. Auch eine förderliche Spielesozialisation der Familie führe zu einer höheren Spielkompetenz.

Junge erklärt weiter: Im Spiel könne man emotionaler sein als im Alltag. „Das Spiel holt ganz andere Charaktereigenschaften aus mir heraus, die wir sonst gar nicht so spüren.“ So könne man zum Beispiel auch mal ein Betrüger sein. Und gerade kooperativen Spielen schulten die sogenannten Big-Five-Charaktermerkmale – dazu gehören unter anderem Verlässlichkeit, Verträglichkeit, Verbindlichkeit und emotionale Stabilität.

In den Klassenzimmern frönen die Besucher der CoBoCon ihrem sozialen Hobby, das positive Charaktereigenschaften fördern kann.
In den Klassenzimmern frönen die Besucher der CoBoCon ihrem sozialen Hobby, das positive Charaktereigenschaften fördern kann. Foto: ZK.

„Das sind ganz viele Effekte, die durch so ein Spielprozess gefördert, unterstützt und ausgeprägt werden. Das ist eine Charakterbildung, die dabei stattfindet“, erklärt der Spielforscher Junge. Auch wenn das vom Spieler sicher nicht beabsichtigt sei. Keiner setze sich an den Spieltisch mit der Absicht: Ich will jetzt meinen Charakter bilden! Nein, die positiven Effekte geschehen nebenbei, so der Ludologe.

Sie spielen Rollen auf dem Brett

Auch die beiden Spielentwickler Victor Ahrens und Eike Meyer hat es auf die CoBoCon verschlagen. Sie sitzen mit ihren jeweils eigenen kooperativen Abenteuer-Kreationen in einer der Schulklassen und warten auf interessierte Spieler, den ganzen Tisch vollbeladen mit Pöpeln, Karten, Würfeln und Spielmaterial. Midhalla und Dungeons of Doria heißen ihre Rollenspiel-Fantasiewelten. Monster töten, „Looten“ – also Schätze sammeln –, Missionsziele erreichen. Meyer ist passend gekleidet in einer roten mittelalterlichen Kluft mit schwungvoller Plastik-Axt im Gürtelhalfter.

Eike Meyer entwickelte „Midhalla“. Foto: ZK.
Victor Ahrens und sein Spiel „Dungeons of Doria“. Foto: ZK.

Beide entwickeln und verlegen ihre Spiele selbst. Den neuen Spielern macht es Spaß, sie beugen sich auf der CoBoCon tief über ihre Charakter-Tableaus und Spiele-Tokens, die Gegenstände wie Schwerter und Zaubertränke symbolisieren, und grübeln über den nächsten Zug. Sie spielen hier fantastische Rollen, die sie im realen Leben nicht einnehmen können. Meyer entwickelte bereits mit sechs Jahren sein erstes Spiel und interessierte sich „schon immer“ für Spiele, auch Rollenspiele. Früher arbeitete der 41-Jährige in der IT-Beratung. Jetzt verlegt er seinen kooperativen Dungeon-Crawler und sagt: „Ich wollte ein Spiel machen, dass ich selber gerne spielen würde.“ An kooperativen Spielen mag er, dass man gemeinschaftlich Probleme löst und jeder seinen Teil einbringen kann.

Ahrens spielt seit seiner Kindheit und Jugend und heute immer noch gerne mit seiner Frau und seinem 10-Jährigen Sohn. Am liebsten kooperativ, „weil man gemeinsam spielt, miteinander und nicht gegeneinander“. Dabei könne man gemeinsam versuchen, Probleme zu lösen, die einem die Spielmechanik vor die Füße wirft. „Bei kooperativen Spielen hat man viel mehr den sozialen Gedanken, während bei Gegeneinanderspielen eher jeder für sich spielt“, erklärt der Spielentwickler, der hauptberuflich im IT-Bereich arbeitet.

Wie sich auch Gelegenheitsspieler begeistern lassen

„Wir wachsen ja als Kinder spielend auf“, bemerkt Veranstalter Stober. „Aber irgendwann hören wir dann auf und denken, das ist Kinderkram. Das ist schade.“ Ein Spiel wie Robinson Crusoe sei bei Weitem kein Kinderspiel. Der Lehrer gibt einen Tipp, wie man Nichtspieler dafür begeistern kann: Klein anfangen und in moderne Brettspiele einführen. „Meist brauchst du dafür so zwei, drei Spiele. Und dann hast du sie“, sagt er verschmitzt und schmunzelt. Vielleicht werden sie eines Tages wie Stober, der im Lehrerzimmer gern Spielregeln statt Klassenarbeiten liest. „Zur Entspannung“, wie er betont.

Unterdessen trennt sich jetzt die Gruppe der Gestrandeten nach rund drei Stunden Realzeit und acht Tagen – oder Runden – auf der verfluchten Insel. Das Spiel ist noch nicht geschafft. Das Signalfeuer ist nicht errichtet, das rettende Boot noch nicht gekommen. Aber sie haben bis jetzt überlebt. Von wilden Tieren gepeinigt, von Krankheiten geplagt und hungrig. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, sich für den Nachmittag auch anderen Spielgruppen anzuschließen. Bis zum Abendgrillen auf der CoBoCon in Halberstadt. Worüber redet man dort? Über seine Spielerfahrungen natürlich.

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