Theologen-Ehepaar: Gott wird richten
Frankfurt (Main) – Wie kann es angesichts des Ukraine-Krieges mit Leid, Zerstörung und Tod gerade auch für die Todesopfer echten Frieden geben, fragt das Theologen-Ehepaar Peter und Gabriele Scherle in ihrem Gastbeitrag „Der verharmloste Gott“ für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Sie antworten darauf: Ohne eine gerichtsfeste „Vergeltung“ gebe es keinen göttlichen Frieden, kein Schalom. Sie sagen zum Ukraine-Krieg, das Blut der Opfer schreie zum Himmel: „Gott wird darauf antworten und Rechenschaft fordern von den verantwortlichen Tätern und ihren religiösen Mittätern, aber auch von den Zuschauern, die vor allem mit ihrer Befindlichkeit und einem reinen Gewissen beschäftigt waren.“
Die Erwartung des göttlichen Gerichts am Jüngsten Tag sei dabei „keine überholte Vorstellung, sondern eine zentrale Erwartung des christlichen Glaubens“. So heiße es auch im alten Apostolischen Glaubensbekenntnis über Christus, welches noch heute in den christlichen Kirchen verlesen wird: „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“.
Endgültige Hoffnung auf die Heilung des Unrechts gebe es nicht durch Menschen, sondern nur durch Gott. „Kein Waffenstillstand, keine politische Vereinbarung und schon gar kein Ziel der Geschichte kann die Toten mehr erreichen. Für sie bleibt uns nur die Hoffnung auf ein göttliches Gericht, in dem die Opfer der Geschichte aufgerichtet und ihre Verletzungen geheilt werden.“ Der rächende Gott helfe auch, nicht menschlicherseits Rache an Rache zu fügen, sondern die endgültige Vergeltung Gott zu überlassen.
Kirchen verharmlosen Gott
Die Kirchen hätten diese Vorstellung von Gottes Vergeltung „in den letzten Jahrzehnten theologisch diskreditiert“. Stattdessen machten sie Gott zu einem „lieben Gott“. Wie die Scherles sagen, verharmlosen die Kirchen damit Gott. Dem widersprechen die beiden Theologen und stellen dagegen: „Der ‚liebe Gott‘ ist tot.“
Gott ohne Gericht sei eine „Entkernung des christlichen Gottesbildes“. Zum „harmlosen Gott“ beigetragen habe die christliche Predigtpraxis, die die Hörer an ein „harmloses Evangelium“ gewöhnt habe. Anklänge an den richtenden Gott in den gelesenen und gebeteten Psalmen seien „so weit wie möglich abgeschwächt“. Auch das moderne Liedgut verharmlose Gott.
„Geradezu obzöne Forderung“ an die Ukrainer
Schon menschlich gesehen müsse der Bruch des Rechts und das Tun des Schlechten einen Preis haben. Der Frieden könne dann nur wiederhergestellt werden, wenn die Verantwortlichen einen Preis zahlen, wenn es Vergeltung und einen Ausgleich für den Schaden gebe. Die moderne Denkweise nennt dies nicht mehr Vergeltung, sondern Sühnung. Der Täter solle damit haftbar gemacht werden für seine Taten. „Anders wäre ein Zusammenleben von den zu Opfern gemachten Menschen mit den Tätern nicht mehr denkbar.“ Der Ruf nach dem Strafgerichtshof in Den Haag sei angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine mehr als verständlich. Die Ukrainer dagegen im Namen des Friedens aufzufordern, nicht länger ihr Land zu verteidigen, sei „eine geradezu obzöne Forderung“.
Die beiden Theologen bitten am Ende Gott, den getöteten und verletzten Opfern des Ukraine-Krieges „über die Möglichkeiten des Rechtes hinaus gerecht zu werden“. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein religiöser Unterstützter, der Patriarch Kyrill, sollten sich laut den Scherles vor diesem rächenden Gott fürchten. An diesen Gott richte sich die verbreitete Bitte „Vergelt’s Gott!“.
Gabriele Scherle ist evangelische Theologin und war Pröpstin für Rhein-Main. Derzeit ist sie Vorstandsvorsitzende der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Peter Scherle ist ebenfalls evangelischer Theologe. Von 2002 bis 2020 war er Direktor des Theologischen Seminars Herborn.
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