Die Hiphop-Serie „Die Welt von morgen“ – enttäuschend mittelmäßig
Eine neue Jugendserie über die französische Hiphop-Szene ist beim französisch-deutschen Sender Arte erschienen: „Die Welt von morgen“. Die Sendung bleibt trotz hoher Erwartungen leider mittelmäßig. Eine Filmkritik von Christian Albrecht.
Titelfoto: ARTE France/ Jean-Claude Lother.
In meiner Jugend war ich Hiphop-Fan und mochte auch französische Rap-Musik. Darum freute ich mich auch seit vielen Wochen auf die vom deutsch-französischen Sender Arte angekündigte französische Hiphop-Serie „Die Welt von morgen. Die Geschichte von NTM und DJ Dee Nasty“. Der Trailer für die sechsteilige Drama-Filmreihe sah vielversprechend aus. Als Arte am Montag „Die Welt von morgen“ in der Arte-Onlinemediathek veröffentlichte, blieb ich aber nach einem guten Start schon ab der dritten Folge sehr unbefriedigt. Die Sendung ist insgesamt nicht schlecht, bleibt aber doch nur mittelmäßig. Warum? Folgt gleich.
Zuerst: worum geht es eigentlich? Die Sendung erzählt die wahre Anfangsgeschichte des umstrittenen französischen Rapper-Duos „NTM“ sowie des DJs Dee Nasty im Paris der 1980er und 90er Jahre nach, passt jedoch laut Einspieler einige Details „aus dramaturgischen Gründen“ an. Laut Ankündigung spiegelt die Serie „das Lebensgefühl und die Aufbruchstimmung im Frankreich der 80er und 90 Jahre wider“.
Daniel alias DJ Dee Nasty kommt von seiner USA-Reise zurück nach Frankreich und bringt seine Leidenschaft für Hiphop und eine Tasche voller Platten mit. Er will die Musik in Frankreich einführen und startet eine Hiphop-Sendung im lokalen Piratenradio sowie regelmäßige eigene Straßenpartys; später arbeitet er erfolgreich als DJ in einem Club, bis er sich mit dem Clubbesitzer zerstreitet. Daniel ist ein charakterlich schwacher und zu gutmütiger Kerl mit der Schwäche, sich leicht ausnutzen zu lassen.
Bruno alias Kool Shen und Didier alias JoeyStarr lernen sich kennen und werden beste Freunde. Sie fangen zunächst zusammen mit Breakdance an und sprühen mit ihrer Crew illegale Graphitis, später rappen sie als Gruppierung „NTM“ auch zusammen. Bruno kommt aus einer einfachen Arbeiterfamilie und hat gute Eltern, sein schwarzer Freund Didier lebt ohne Mutter bei seinem alleinerziehenden Vater, der ihn verächtlich behandelt und täglich verprügelt. Bruno schmeißt für den Hiphop zum Unmut seiner Eltern seine startende Karriere als Fußballer in einem Fußballinternat hin, schafft aber das Abitur und arbeitet kurzzeitig gelangweilt als Bankmitarbeiter; das berufliche Förderprogramm, das ihn seine Vorgesetzte anbietet, lehnt er ab. Didier ist ein hedonistischer Lebemann und Blödel-Clown, der das Leben in vollen Zügen genießen will und später viel mit wohlhabenden Szene-Juppies abhängt – und mit „Leben“ meint er offenbar Geld, Frauen und Drogen. Didier wird später gegen seinen Willen in den Militärdienst eingezogen, der jedoch offenbar keinerlei Folgen für seine Charakterentwicklung zeigte.
Die Serie „Die Welt von morgen“ führt bald weitere Charaktere ein wie die beiden Freundinnen von Daniel und Bruno, Béatrice sowie die verbitterte schwarze Sprüherin Vivi alias Lady V, die mit einer liebevoll sie unterstützenden Mutter, aber ohne Vater aufwächst.
Plätschernde Geschichte ohne dramaturgische Höhepunkte
Leider überzeugt die Geschichte trotz wirklich hervorragender Schauspieler und guter Hiphop-Musik nicht wirklich. Das liegt vor allem an der flachen Geschichte ohne echte Höhepunkte und Dramaturgie. Das Drehbuch schafft es nicht, eine Spannung zu erzeugen. Die Geschichte der jungen Leute plätschert eher uninteressant vor sich hin. Es scheint sich einfach nichts richtig zu entwickeln.
Ab und an deutet sich eine spannende Entwicklung an; so entert am Ende der fünften Folge eine wütende Rapper-Crew das Radiostudio von DJ Dee Nasty, weil er sie zuvor in einem Song gedisst (beleidigt) hatte. Die Folge endet mit einem spannenden und gut inszenierten Höhepunkt am Mikrophon und lässt den Zuschauer in einem Cliffhanger, also einem offenen Übergang zur nächsten Folge, glauben, jetzt kommt es zum großen Showdown, zum Finale. Aber weit gefehlt! Die letzte Folge erzählt nämlich wieder von ganz anderen Geschehnissen, der spannende Konflikt am Ende der Vorfolge ist völlig vergessen und wird nicht weitererzählt.
Auf diese Weise führt die Sendung zwar immer wieder dramaturgisch spannende Momente ein, die sie gleich darauf einfach verpuffen lässt. Der Zuschauer bleibt dadurch unbefriedigt zurück wie bei einem gut gedeckten Tisch, der den Appetit anregt, von dem man dann aber nichts essen darf.
Unbefriedigend sind auch die zwei voneinander völlig unabhängigen Erzählstränge von Bruno und Didier und von Daniel alias DJ Dee Nasty. Der einzige Berührungspunkt der beiden späteren aggressiven NTM-Rapper sind die Straßenpartys des introvertierten Daniels; zu einem Kontakt oder Gespräch zwischen den Hauptfiguren kommt es allerdings auch hier nicht. Hier befriedigt die Sendung nicht den Zuschauer, der erwartet, die anfangs gut eingeführten Hauptfiguren müssten irgendwann aufeinander treffen, entweder als spätere Gegner oder als Freunde. Aber bis zur Schlussszene passiert das nicht. „Die Welt von morgen“ erzählt die Geschichte so, als würde man zwei getrennte Hiphop-Filme ansehen mit Charakteren, die außer ihrer Leidenschaft für Hiphop nichts miteinander zu tun haben.
Unsympathische jugendliche Charaktere
Ein großes Manko der Sendung sind auch die Hauptcharaktere. Ich konnte keinen wirklich leiden. Alle waren mir unsympathisch. Es ist schlimm, wenn Filme oder Bücher keine echten Sympathieträger einführen, mit denen man mitfühlen und sich irgendwie identifizieren kann – oder möchte. Ob den arroganten und selbstverliebten Hedonisten Didier, seinen Freund Bruno oder alle Nebenfiguren – sie wirken einfach nur richtig unsympathisch. So wollen sie mit ihrem Hiphop die Gesellschaft kritisieren und leben doch in einer schlecht gelaunten Null-Bock-Stimmung unter ständigen Drogenkonsum und feiern Partys.
In vielen Szenen sieht man die Figuren mit eher „leichten“ Drogen wie Cannabis und Alkohol, aber auch mit starken Zeugs wie gar Koks, Heroin und LSD. Das von Arte beschriebene „Lebensgefühl und die Aufbruchstimmung im Frankreich der 80er und 90 Jahre“ wirkte auch mich eher wie Abbruch. Allein mit den großartigen, liebevollen Eltern von Bruno und Vivi konnte ich als Zuschauer sympathisieren. Sie versuchten wirklich, ihre Kinder zu unterstützen, auch wenn ihre Lebensvorstellungen den elterlichen Wünschen widersprechen.
Gerade Didier alias der spätere Rapper JoeyStarr wird als verantwortungsloser, selbstverliebter Lebemann präsentiert, der nur an sich denkt, seine Freunde ständig hängen lässt und niemanden außer sich selbst Respekt erweist. Nur in den Szenen, wenn sein Vater ihn verprügelt, konnte ich mit dem Jungen mitfühlen und mittrauern. Den Rest der Sendung konnte ich den Kerl aber einfach nicht leiden.
Unglaubwürdig wirken auch Bruno mit seiner Freundin Vivi. Beide wollen mit ihrem Hiphop Klassenunterschiede und Rassismus kritisieren – und haben doch aus eigenen Antrieb heraus ihre „bürgerliche“ Lebenslaufbahn für ihren Hiphop abgebrochen. Vivi schmiss das Gymnasium und Bruno seinen Job bei der Bank – hier zeigen sich keine „Klassenunterschiede“, sondern jugendliches „kein Bock, ich zieh lieber einen durch“. Die Serie schafft es nicht wirklich, die gesellschaftlichen Problem anzusprechen, sondern deutet Polizeigewalt und Rassismus nur vereinzelt in nebenbei eingespielten Fernsehnachrichten an.
So bleibt am Ende ein zwar ansehnliches, aber auch mäßiges Jugenddrama ohne hohen Unterhaltungswert. Kann man sich ansehen, muss man aber nicht.
„Die Welt von morgen. Die Geschichte von NTM und DJ Dee Nasty“ (2022) ist bis zum 16. November 2022 kostenlos in der Arte-Mediathek zu sehen. Regie führten Katell Quillévéré und Hélier Cisterne.
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