Friedensnobelpreis an Journalisten: „Wir sind das Gegenmittel zur Tyrannei“
Graphiken: Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach.
Oslo – Der diesjährige Friedensnobelpreis wurde am vergangenen Freitag an die beiden Journalisten Dmitri Muratow aus Russland und Maria Ressa von den Philippinen verliehen. Sie erhielten den Preis laut Nobelkomitee für ihr Bemühen um die Meinungfreiheit, die eine Voraussetzung für Demokratie und dauerhaften Frieden sei. Sie seien „Vertreter aller Journalisten, die für dieses Ideal in einer Welt eintreten, in der Demokratie und Pressefreiheit immer widrigeren Bedingungen begegnen.“ Es ist der erste Friedensnobelpreis an Journalisten seit 1936.
Journalisten als „Gegenmittel zur Tyrannei“
Der 60-Jährige russische Journalist Dmitri Muratow war von 1995 bis 2017 Chefredakteuer der Zeitung „Nowaja Gaseta“ (Moskau) und danach Vorsitzender des Redaktionsausschusses. Die Zeitung gilt als eines der wenigen staatsunabhänigigen Medien in Russland. In seiner Rede bei der Preisübergabe sagte er, die Welt habe kein Interesse mehr an der Demokratie, sei „von der Machtelite enttäuscht worden“ und habe begonnen, sich der Diktatur zuzuwenden. Er sprach von in Russland verfolgten und getöteten Kollegen und Journalisten, die ins Exil flohen. Investigativer, staatsunabhängiger und -kritischer Journalismus ist laut Muratow „das Gegenmittel zur Tyrannei“: „Ja, wir knurren und beißen. Ja, wir haben scharfe Zähne und einen starken Griff. Aber wir sind die Grundlage für den Fortschritt. Wir sind das Gegenmittel zur Tyrannei.“
Die Aufgabe von Journalisten sei es, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Er fragt kritisch: Ist der Mensch für den Staat da, oder der Staat für den Menschen? Muratow: „Das ist heute der Hauptkonflikt. Stalin löste diesen Konflikt durch weitreichende Repressionen.“
Der frühere Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“ widmete den Friedensnobelpreis der ganzen Gemeinschaft investigativer Journalisten weltweit, die ihrer beruflichen Pflicht nachkämen. „Ich möchte, dass Journalisten alt sterben“, sagte der Preisträger bezüglich aller Kollegen, die wegen ihrer Arbeit ermordet wurden und verfolgt werden.
Journalisten sollen Wahrheit sagen und die Regierung zur Verantwortung ziehen
Die Philippinin Maria Ressa ist Co-Preisträgerin des Friedensnobelpreises. Sie arbeitete rund zwanzig Jahre als leitende Investigativreporterin für CNN International und gründete 2012 zusammen mit anderen Frauen das Online-Nachrichtenmedium „Rappler“. Das Medium berichtet auch kritisch über den philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte und steht im ständigen Konflikt mit der Regierung. Mit regierungskritischen Faktenchecks gegen staatliche Fake News streitet „Rappler“ gegen Regierungspropaganda. Die Journalistin nehme den Friedensnobelpreis stellvertretend für alle Kollegen an, die viele Opfer bringen müssten, „um unseren Werten und unserem Auftrag treu zu bleiben: Ihnen die Wahrheit zu vermitteln und die Regierenden zur Verantwortung zu ziehen“.
Wie die Tagesschau berichtete, drohte Duterte der 58-Jährigen Ressa auf einer Pressekonferenz einmal: „Nur weil du Journalist bist, heißt das nicht, dass du nicht ermordet werden kannst, besonders wenn du ein Hurensohn bist.“ Im Oktober kündigte Duterte seinen Rückzug an, er befindet sich aber gegenwärtig noch im Regierungsamt.
Ressa kritisierte in ihrer Rede die sozialen Medien: Sie seien ein tödliches Spiel um Macht und Geld. Journalisten seien die alten Torhüter („Gate-Keeper“) der Wahrheit, und auf der anderen Seite stehe Big-Tech. Soziale Medien „mit ihrer gottähnlichen Macht“ ermöglichen es laut Ressa, „dass das Virus der Lüge jeden von uns infiziert, uns gegeneinander ausspielt, unsere Ängste, unsere Wut und unseren Hass hervorbringt und die Voraussetzungen für den Aufstieg von Autoritäten und Diktatoren in der ganzen Welt schafft“. Amerikanische Firmen wie Facebook kontrollierten das globale Informationsnetz, seien aber voreingenommen gegen Fakten und gegen Journalisten. Ressa: „Sie spalten uns absichtlich und radikalisieren uns.“
Wie Ressa in ihrer Rede sagte, gibt es ohne Fakten keine Wahrheit, ohne Wahrheit kein Vertrauen, und ohne Vertrauen keine Demokratie. So werde es unmöglich, die existenziellen Probleme der Welt zu lösen: das Klima, das Coronavirus, der Kampf um die Wahrheit. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an dem wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen und weiter in den Faschismus abgleiten können, oder wir können uns entscheiden, für eine bessere Welt zu kämpfen.“
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