Jurist zu Corona-Urteil: Dürftig, oberflächlich, gefährlich, feige
Foto: Superbass, 2017-01-09-Heribert Prantl -hart aber fair-9633, CC BY-SA 4.0
München – Das Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über die Corona-Maßnahmen enttäuscht und empört den Juristen und Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl. Er sei zuerst enttäuscht, dann ungläubig, daraufhin empört und schließlich wütend gewesen, sagte er am Samstag im Interview mit der Berliner Zeitung. Zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu den einschneidenden politischen Schutzmaßnahmen („Bundesnotbremse“) sagt Prantl: „Sie sind dürftig in ihrer Begründung. Sie sind oberflächlich in der juristischen Argumentation. Sie sind gefährlich in der Reduzierung des Rechtsschutzes. Und sie sind feige in ihrer Grundhaltung.“
Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht teilte am 30. November seinen Entschluss über Verfassungsbeschwerden gegen die weitreichenden staatlichen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen mit. Demnach seien die Maßnahmen „in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie“ verhältnismäßig und mit dem Grundgesetz vereinbar.
Grundrechte unter Pandemievorbehalt
Von diesem Urteil habe Prantl erwartet, dass das höchste deutsche Gericht Leitlinien zur Orientierung aufstellt. Er kritisiert: „Die Beschlüsse laufen auf den falschen Satz hinaus, dass Not kein Gebot kennt.“ Mit dem Urteil schwindet laut Prantl die Rechtssicherheit.
Das Bundesverfassungsgericht habe sich einseitig auf die Gefahrenabwehr fokussiert. Das Grundgesetz werde durch die Beschlüsse „quasi unter Pandemievorbehalt“ gestellt. Das Grundrecht auf Leben sei zwar ein wichtiges Recht, aber „es müssen nicht automatisch alle anderen Grundrechte beiseitespringen, wenn der Staat auch nur behauptet, dass die Maßnahmen, die er verordnet, dem Lebensschutz dienen“. Der Jurist kritisiert, das höchste Gericht habe sich die Prüfung der einzelnen Bekämpfungsmaßnahmen erspart.
Wie geht der Staat zukünftig mit Impfunwilligen um?
Prantl sorgt sich, wie nach dem Urteil und bei einer potenziell kommenden Impfpflicht der Staat zukünftig mit Impfunwilligen umgehen könnte: „Kommt dann auch der Impfzwang? Und: Wird womöglich das Nichtimpfen kriminalisiert? Wird das Nichtimpfen zur Straftat? Ist dann künftig einer, der sich nicht impfen lässt, ein Straftäter?“ Das Karlsruher Urteil gebe der Politik das Gefühl, alles sei erlaubt.
Entgegen der Tradition des Bundesverfassungsgerichts, Bürgerrechte zu stärken, wird Prantl zufolge „die Rechtsschutzgarantie zu einer bloß papierenen Garantie“, wenn Gesetze in der Art der „Bundesnotbremse“ selbstverständlich würden. Die Möglichkeiten für untergeordnete Verwaltungsgerichte, grundrechtssensibel zu entscheiden, seien betreffend von Corona-Maßnahmen sehr eingeschränkt worden.
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statt „Impfunwillige“ kann man auch sagen „Impffreie“