„Spotlight“: Ein Journalisten-Film über Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche
Screenshot: „Spotlight“
Der Film erzählt eine reale Begebenheit von 2001 und 2002 nach. Der neue Chefredakteur der US-Zeitung „The Boston Globe“, Marty Baron (gespielt von Liev Schreiber), wittert eine große Story und beauftragt das hauseigene investigative Journalistenteam „Spotlight“ mit der Recherche zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Eine Rezension von Christian Albrecht.
Ein normaler Mensch gewinnt üblicherweise wenig Einsicht in die Arbeit von Redaktionen und investigativ („aufdeckend“) arbeitenden Journalisten. In dem oscarprämierten Film „Spotlight“ von 2015 kann er diese Einsicht bekommen. Es ist eine ruhige und dennoch spannende Nacherzählung einer schwierigen journalistischen Recherche.
Die vier Kollegen machen sich an die Arbeit und finden nach und nach heraus, dass die wenigen bisher bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Bosten keine Einzelfälle sind. Über den ehemaligen Priester Richard Sipe erfahren sie, dass weltweit durchschnittlich 6% der römisch-katholischen Priester Kinder missbrauchen. Statt der ihnen zuvor bekannten 13 Priester rechnen sie nach dieser Schätzung aus, dass allein in Bosten 90 Priester Kinder sexuell ausbeuten müssten.
Im Laufe des Films können die Journalisten mit Hilfe von Opferbefragungen und hartnäckiger Recherche einschließlich Gerichtsprozess um Akteneinsicht tatsächlich 87 Priester des Kindesmissbrauchs überführen. Die Kirche sowie katholische Organisationen versuchen, die Journalisten während ihrer Recherche einzuschüchtern und den Skandal weiter zu vertuschen. Der verantwortliche Erzbischof Law (Len Cariou) versucht sich in einer Szene beim Chefredakteur Baron einzuschmeicheln, um die Zeitung für sich zu gewinnen:
„Ich finde, eine Stadt gedeiht dann sehr gut, wenn ihre Institutionen zusammenarbeiten.“
Baron antwortet in dem Film darauf mit der nötigen journalistischen Distanz:
„Persönlich bin ich der Meinung, dass eine Zeitung, um ihr Bestes zu geben, für sich allein stehen sollte.“
Der Chefredakteur lässt sich und seine Zeitung nicht einspannen. Das ist großartige journalistische Berufsethik. Man merkt, Baron geht es um die Wahrheit.
In einer anderen Szene konfrontieren die zwei „Spotlight“-Journalisten Walter Robinson (Michael Keaton) und Sasha Pfeiffer (Rachel MacAdams) den Anwalt Eric MacLeish (Billy Crudup). MacLeish verhalf in Missbrauchsfällen der Kirche, die Opfer mit Geld zum Schweigen zu verpflichten. Robinson verlangt unverblümt von MacLeish die Namen der Täter und der Opfer. Darauf fragt MacLeish erstaunt: „Drohen Sie mir?“, woraufhin der Journalist dem Juristen trocken antwortet: „Wir haben hier zwei Stories: Eine über einen degenerierten Klerus, und eine über eine Gruppe von Anwälten, für die Kindesmissbrauch anscheinend ein einträgliches Geschäft ist. Also, welche sollen wir schreiben? Denn eine schreiben wir auf jeden Fall.“
Die Journalisten kennen die Macht der öffentlichen Meinung und wissen, wie sie als Pressevertreter damit ganz legal Druck auf die Verantwortlichen aufbauen können. Am nächsten Tag bekommen sie von dem Anwalt auch die verlangte Liste.
Am Ende des Films wird die Story veröffentlicht und Hunderte Missbrauchsopfer rufen das Redaktions-Team an und erzählen ihre Geschichte. Das lange Schweigen aufgrund von Scham und Schuld ist gebrochen. Das wahre Ausmaß des Missbrauchs durch Priester der katholischen Kirche zeigt sich.
Ruhig, sachlich, spannend
Das Filmthema muss einen interessieren, auch die ruhige, sachliche Aufmachung mit der unaufdringlichen und zum ernsten Thema sehr passenden Hintergrundmusik muss man mögen. Dem Thema angemessen gibt es keine Action und Special Effects mit Verfolgungsjagden und Schießereien. Der Film fokussiert sich auch weniger um den Kindesmissbrauch als um die schwierige, aufdeckende Recherchearbeit der Journalisten.
Dementsprechend dominieren die Szenen Dialoge, Gespräche und Telefonate, häufig sieht man die Journalisten in den Redaktionsbüros bei ihrer Arbeit oder in Bibliotheken Akten wälzen. Doch die Erkenntnisse, die sie dabei gewinnen, machen den Film spannend. Auch der Zuschauer freut sich bei jeder weiteren Aufklärung mit und fiebert dem Höhepunkt entgegegen, wenn die Story über die katholische Kirche, die viele missbrauchende Priester deckt, endlich gedruckt wird.
Sehr gut gefällt mir auch: Die Psychologie der Einzelcharaktere bleibt fast völlig im Hintergrund. Diesem Film geht es nicht um psychologische Charakterzeichnung, sondern um die journalistische Arbeit und die aufdeckende Recherche eines Skandals, welche am Ende zur veröffentlichten Story führt. So erfährt man nur sehr wenig über das Privatleben der Journalisten, nur am Rande, dass Michael Rezendes wegen seinem übermäßigen Arbeitseinsatz Eheprobleme hat.
Dennoch stellt der Film fein gewisse spezifische Charaktereigenschaften dar: So ist der Chefredakteur Baron im Film ein ruhiger, sachlicher und nüchterner Mann, der etwas schüchtern wirkt, aber genau weiß, was er will. Michael Rezendes wird als hektischer, etwas nervöser Mann mit scharfem Verstand vorgestellt.
Vorbildliche journalistische Arbeit
Die Journalisten werden nicht als Helden heroisiert, die eine außergewöhnliche Leistung zeigten. Sondern der Film stellt an ihren Charakteren archetypisch dar, wie gute journalistische Arbeit aussieht, die nach Wahrheit und Genauigkeit strebt und sich nicht bestechen und für für einen bösen Zweck vereinnahmen lässt. Das macht diesen ruhigen, nachdenklichen Film so packend und erbaulich.
Der Film sei hiermit allen angeraten, die etwas über den Missbrauch in der katholischen Kirche oder die Arbeit von Investigativ-Journalisten erfahren wollen.
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